BlogVon Touristen überranntes Japan?

Von Touristen überranntes Japan?

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Man liest überall, dass Japan in letzter Zeit komplett von Touristen überrannt ist. Und zwar sowohl von ausländischen Besuchern, als auch von japanischen Medien, in denen das Wort “Overtourism” eines der Schlagwörter des Jahres ist. Doch ist dem wirklich so? Darüber wollte ich seit meiner letzten, kurzen Tour etwas schreiben – nur um festzustellen, dass Soranews24 just heute bereits einen ähnlichen Artikel verfasst hat – und zwar diesen hier: Is Kyoto really as crowded with foreign tourists as they say? Der Artikel beschränkt sich allerdings auf Kyoto, in Japan ein Symbol für den Massentourismus. Das wird auch am Anfang des Artikels gleich klargestellt: Kyoto gilt als dermaßen überlaufen, dass sich Japaner kaum noch dorthin wagen. Und das kann ich gut verstehen: Nach allem, was ich über Kyoto in den letzten zwei, drei Jahren gelesen habe, hätte ich beziehungsweise habe ich zur Zeit auch keine Lust auf die alte Kaiserstadt.

Natürlich hängt es stark davon ab, wo man hingeht. Jeden Werktag laufe ich vom Bahnhof Shibuya zu meinem Büro, und Shibuya ist eines DER Touristenattraktionen. Ausländische Besucher sehe ich in der Tat viele – weniger am Morgen, was aber an der Hitze in den vergangenen Monaten liegen kann, mehr in der Nacht. Es sind spürbar mehr Besucher als früher, das ist richtig, aber Shibuya war schon immer überlaufen – mit 2,8 Millionen Passagieren pro Tag ist Shibuya schliesslich die Nummer 2 der meistbenutzten Bahnhöfe der Welt. Da fallen ehrlich gesagt die paar Hanseln aus dem Ausland nur wenig auf.

Das Gefühl, es sei stark überlaufen, hatte ich am Kawaguchiko, dem beliebtesten der 5 Seen des Fuji. Dort waren am Bahnhof und in Bahnhofsnähe (so auch am berühmten Convenience Store, hinter dem der Fuji-san aufragt) so viele Menschen unterwegs, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass das noch irgendjemanden Spaß machen kann. Sicherlich, die Menge verläuft sich, aber der kleine Bahnhof nebst Vorplatz und die engen Bürgersteige sind definitiv nicht für tausende von Menschen, viele mit großem Gepäck, gedacht. Überall hingen halbseidene Verbotshinweise in schlechtem Englisch, und irgendwie waren alle genervt.

Mitte August nun zog es mich nach Westjapan, so unter anderem auch zur Expo nach Osaka. Im berühmten Ausgehviertel Dotombori waren in der Tat sehr viele Touristen unterwegs – und man musste nicht lange suchen, um solche zu finden, die unangenehm auffielen. Überall lag Müll herum, es wurde herumkrakeelt und der Anteil japanischer Passanten lag gefühlt bei unter 20%.

Touristenmagnet Dotombori in Osaka in der Nacht
Touristenmagnet Dotombori in Osaka in der Nacht

Am nächsten Tag ging es weiter – Richtung Westen, und zwar mit dem Shinkansen bis zur Stadt Fukuyama in der Präfektur Hiroshima. Dort gibt es unter anderem eine imposante Burg zu sehen (ein Teil des Bahnhofs befindet sich auf dem alten Burggelände – damit ist die Festung quasi die einzige in Japan mit Shinkansenanschluss), aber mein eigentliches Ziel war Tomo-no-ura (鞆の浦), ein kleines Fischerdorf an der Seto-Binnensee. Ein koreanischer Abgesandter preiste die Gegend dort vor hunderten von Jahren als schönste Gegend Japans – und man kann durchaus verstehen, warum. Ausländische Besucher? Fehlanzeige. Nada.

Landschaft bei Tomonoura in der Präfektur Hiroshima
Landschaft bei Tomonoura in der Präfektur Hiroshima

Von Fukuyama ging es weiter mit der Bummelbahn ins nahegelegene Onomichi – der Ort ist schon eher bekannt, weshalb man hier auch ein paar ausländische Besucher sieht, aber die Betonung liegt wirklich auf “ein paar” – in dem alten Stadtviertel am Berghang zwischen Senkō-Tempel und Stadtzentrum waren definitiv mehr streunende Katzen unterwegs als Besucher. Momentan scheint der Ort besonders bei Taiwanesen beliebt zu sein.

Obwohl stark industriell geprägt, ist Onomichi ein sehr fotogener Ort, so viel steht fest. Deshalb wird es über den Ort später auch mehr geben.

Onomichi in Hiroshima
Onomichi in Hiroshima

Weiter ging es am nächsten Tag nach Okunoshima. bekannt für eine größere Population freilebender Kaninchen sowie für ehemalige Produktionsstätten von Giftgas. Aus irgendeinem Grund hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Karnickel Überlebende von Giftgasexperimenten während des 2. Weltkrieges sind, aber dem ist nicht so – die putzigen Viecher wurden von Irgendjemandem in den 1970ern ausgesetzt und gedeihen prächtig. Zwar steht überall “Füttern verboten” und Warnhinweise, dass die Tierchen schnell zubeißen (und wer Monty Pythons “Die Ritter der Kokosnuss” kennt, weiß nur zu gut, wie das ausgehen kann), aber das wird von den meisten ignoriert, und die Kaninchen sind dafür offensichtlich sehr dankbar.

Auf Okunoshima trifft man relativ viele ausländische Touristen, wie eine Weltkarte bezeugt, auf der die Besucher Punkte kleben können, um ihren Herkunftsort bekanntzugeben: Der Karte zufolge kommen die Besucher wirklich aus aller Herren Länder, aber von Überlaufen sein kann man auch hier nicht reden.

Die Karnickel von Okunoshima zeigen gern eine gewisse Erwartungshaltung
Die Karnickel von Okunoshima zeigen gern eine gewisse Erwartungshaltung

Da der Tag noch relativ jung war, ging es weiter – nun mit dem Auto – und zwar nach Miyajima. Dort war ich zum letzten Mal vor knapp 25 Jahren und die Erinnerung war vage, da ich damals trotz Grippe verreist war. Ausserdem war es Winter. Natürlich ist der Touristenrummel in Miyajima groß, und vieles hatte sich verändert – aus einem damals sehr kleinen, alten Fährterminal ist eine riesige, moderne Anlage geworden. Die Hin- und Rückfahrt mit der Fähre kostet 500 Yen, und ich dachte sofort “das ist ja wirklich günstig” – als ich dann aber mal auf meiner eigenen Webseite nachschaute, was es damals kostete, offenbarte sich ein kleiner Preisanstieg, denn damals waren es noch 190 Yen.

Die Menschenmassen auf Miyajima waren enorm, aber es war trotzdem nicht allzu schlimm – die Stimmung war allgemein gelöst, und es war schön, zu sehen, wie sich die Leute an dem Anblick des Torii erfreuen. Das einzige Problem sind, aber das ist überall so, größere Gruppen: Will man zum Beispiel zur Seilbahnstation und hat eine größere Reisegruppe vor sich, hat man einfach mal Pech gehabt, denn in die kleinen Shuttlebusse passen jeweils nur rund 15 Leute.

...und bei Flut - mit Blick von der Insel Richtung Hiroshima
Blick vom Itsukushima-Schrein auf Miyajima Richtung Hiroshima

Nach einer Übernachtung und einem schönen Spaziergang durch die Stadt Kure, eine große Hafenstadt bei Hiroshima und ganz sicher frei von Touristen – ging es an Hiroshima vorbei durch die Berge Richtung Japanmeer, zum kleinen Städtchen Tsuwano in der Präfektur Shimane. Der Ort wird auch “Klein-Kyoto” genannt, aber ganz ehrlich: Die Zahl der Orte in Japan, die sich “Klein-Kyoto” nennen, ist unüberschaubar. Schön ist der Ort aber zweifelsohne, wenn auch relativ klein. Besonders beeindruckend ist die Burgruine oberhalb der Stadt – und zu der kann man entweder laufen, oder, wenn man bei über 35 Grad und wenig Zeit keine Lust zum Laufen hat, mit einem Lift fahren. Bei dem war jeder zweite Sitz kaputt – und es waren so wenig Leute unterwegs, dass der Lift immer komplett angehalten wurde, wenn kein Passagier in der Nähe war. Und obwohl der Ort etwas bekannt ist, waren hier ausländische Besucher komplett Fehlanzeige – ich habe keinen Einzigen gesehen.

Blick von der alten Burg auf den kleinen Ort Tsuwano
Blick von der alten Burg auf den kleinen Ort Tsuwano

Am letzten Tag ging es zum alten Silberbergbaugebiet Iwami Ginzan, ebenfalls in Shimane. Zu dem langgestreckten Ort gehört auch ein winziger Hafen mit Onsen-Viertel, und das liegt wirklich sehr versteckt: Ich war mir auf dem Hinweg schon sicher, mich verfahren zu haben, als ich dann doch plötzlich in dem malerischen Örtchen ankam. Sowohl das Onsen-Viertel als auch Ōmori nahe den meisten Silberbergwerksschächten sind wunderschön, so viel steht fest. Schöne Natur, ein geschlossenes, nicht zu Tode gepflegtes Stadtzentrum – und nur sehr wenige Besucher. Ich hatte von einigen Japanern, die irgendwann mal dorthin gereist sind, gehört, dass der Ort nichts Besonderes sei, doch das kann ich so nicht bestätigen.

Strassenszene in Omori, Iwami Ginzan
Strassenszene in Omori, Iwami Ginzan

Ist Japan nun also hoffnungslos von Touristen überrannt? Die klare Antwort lautet: Nein. es gibt genug zu sehen, und wenn man ein paar der Punkte, die vor allem in den sozialen Medien gehypt werden, links liegen läßt, ist es verblüffend einsam und ruhig. Sicher hängt das mancherorts von der Jahreszeit ab, aber die Zahl der Besucher pro Monat in Japan ist erstaunlich konstant – der August ist also nicht mehr und nicht weniger gut besucht als die anderen Monate. In dem Sinne ist die ganze Diskussion um Übertourismus in Japan etwas übertrieben. Klar, vor allem bei Reisegruppen ist in Sachen Koordination etwas Strategie gefragt, und es wird natürlich auch immer Besucher geben, die sich ungebührend verhalten, aber die Sache mit den Touristen wird einfach übertrieben als Problem dargestellt.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

4 Kommentare

  1. Stimme dir da zu. Ich glaube mit dem Overtourism wird viel überdramatisiert. Ich bin ja nun jedes Jahr in Japan, und wenn ich “Japan-Neulinge” dabei habe, geht es halt auch mal in die bekannten Touristenfallen.
    Auch 2023 hat man schon vom Overtourism geredet. Ich war mit Anhang in Kyoto. Kinkakuji, Kiyomizu, Arashijama… hmmm, hab ich alles auch schon mal wesentlich überfüllter erlebt (zuletzt 2017). Im Kinkakuji musste auf dem Gelände damals 2017 sogar der “Verkehr geregelt werden”, da war diesmal keine Spur davon.
    Was mir aber aufgefallen ist, dass es stellenweise tatsächlich etwas schmutziger aussieht an einigen Stellen. Und auch uns sind in Tokyo unangenehme Sachen einiger Leute aufgefallen, vorallem in der Bahn.
    Was die alle mit dem Kombini in Kawaguchiko haben, verstehe ich auch nicht. Wir sind immer zur Chureito Pagode, immerhin eines der ersten Motive, wenn man nach “Japan” googlet. Auch dort war es überschaubar, was Touristen anging. Man hat da oben sogar einen Sitzplatz gekriegt immer. Eine Station weiter ist dann Fujisan-Eki, Fujiyoshida, auf dem Dach des Kaufhauses dort ist ne wunderbare Aussichtsplattform. Die war einfach nur leer. Bis nach Kawaguchiko schaffen wir es dann meistens nicht mehr.
    Wenn ich alleine reise, bin ich dann meistens nur kurz am Anfang und Ende in Tokyo und erkunde, wie du, dann andere Gebiete. Ich war letztes Mal auf Kyushu. Und da ist es mit Tourismus echt überschaubar geworden. In Kumamoto hat mich sogar mal wieder eine Japanerin angesprochen. Das ist mir eigentlich nur fernab von Touristenfallen passiert. Also ich finde, da wird tatsächlich viel übertrieben. Das Problem ist, dass sich halt Touristen auf die Touristenfallen stürzen und dann wieder abhauen und das restliche Land links liegen lassen, was wie richtig bemerkt echt schade ist.

  2. Ich war letztes Jahr den Oktober über in Japan. Von Tokyo – Kyoto – Osaka und überall ein paar Zwischenstopps. Tokyo ist wieder immer voll, jedoch nicht unbedingt von Touristen (ich bin alle 2 Jahre in Tokyo). Kyoto war auch ok, nur die üblichen Spots waren voll und Osaka, ja es war super voll und super dreckig. Deswegen ist das bei mir negativ hängengeblieben, aber wenn man Tourist ist, möchte man das halt auch alles sehen und es fließt Geld in das Land. Außerhalb der touristenorten war es sehr ruhig.

  3. Ich war ebenfalls im letzten Oktober in Japan und davor das letzte Mal im Frühjahr 2015. Ich war bei beiden Besuchen in Kyoto und Tokyo und hatte dies mal das Gefühl das es zwar etwas voller als damals ist, aber auch nicht exzessiv, wobei ich in Kyoto diesmal größtenteils auch nicht an den “schlimmsten” Hotspots war. Ist natürlich alles auch eine subjektive Wahrnehmung.
    Beides mal war ich jedoch auch in Orten die vielleicht nicht als erstes Touristenziel gelten bzw. etwas weiter weg von Tokyo/Osaka liegen (2015: Kanazawa, Inuyama, Takayama/Shirakawago, 2025: Okayama, Nagasaki, Kagoshima, Kumamoto) und kann die Aussage untersteichen, dass es dort keineswegs überlaufen ist, auch wenn man ausländische Touristen überall antreffen kann.
    Einziges Negativbeispiel bei meinem zweiten Besuch war Osaka, welches für meinen Geschmack zu überlaufen war und wo man leider auch sehr unangenehme Touristen traf, weswegen ich einem Kollegen der dieses Jahr Japan besuchen will, empfohlen habe, statt Osaka lieber mehr Zeit in Kyoto oder Himeji zu verbringen.

  4. Hallo,
    Naja Tokyo, Kyoto, Osaka und Hiroshima werden halt wirklich von jedem Japantouristen angesteuert, und nicht wenige dort Leben ja auch davon, also wird man dort unverhältnismäßig viele Touristen, auch Europäer finden. Sobald man da etwas weg ist, wird das schnell weniger. Bekannte Attraktionen, wie Nara oder Miyajima noch, wobei ich da nicht so viele gesehen habe, kommt vermutlich auch auf die Zeit an.
    Ich denke das Problem sind dabei aber weniger die Touristen, als viel mehr die Idioten unter diesen, letzten habe ich gesehen das ein Tourist, für ein You Tube Video, was auch sonst, auf einem Friedhof Gräber Geschändet hat, also Opfergaben und diese Holzleisten genommen, usw. ( gesehen heisst, einen Bericht eines Japaners darüber) sowas ist natürlich Wasser auf die Mühlen von Hetzern, und natürlich auch absolut unendschuldbar, ich glaube ich würde so jemanden eigenhändig zum nächsten Polizisten schleifen.
    Es ist leider wie so oft so, das die lautesten und dümmsten, wie gering auch der Prozentsatz sein mag, den ruf der Gruppe machen

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